Editorial

Liebe Filmfans

Wir bilden uns gerne ein, wir würden jedes Jahr ein Programm «erschaffen». Wenn wir aber ehrlich sind, entsteht es vielfach um uns herum. Beginnen wir am Anfang, also dem Eröffnungsfilm: «Viva» spielt in Kuba. Vergangenes Jahr war das karibische Land unser Schwerpunkt. Keine zwölf Monate später wurden wir alle Zeug/innen des ersten Handshake nach 88 Jahren zwischen den Staatschefs der USA und von Kuba. Manchmal sind wir der Zeit eben auch ein paar Schritte voraus.

Als Festival haben wir nur einen homöopathischen Einfluss darauf, welche Filme entstehen. Vielleicht zeichnen wir mal die Regisseurin eines Kurzfilms aus. Nicht zuletzt dank unserer Auszeichnung kann sie daraufhin einen Langspielfilm machen. Und der landet, zwei, drei Jahre später, wiederum bei uns im Programm. Das ist dann die (schöne) Ausnahme.

Eigene Akzente setzen kann Pink Apple aber, indem es Schwerpunkte schafft. Vor 400 Jahren starb der wohl bedeutendste Dichter des zweiten Jahrtausends, William Shakespeare. Grund genug, ihn und seine Werke in filmischer Umsetzung zu einem Festivalthema zu machen. Schliesslich hat Shakespeare auf eine Art und Weise mit Geschlechterrollen und Doppeldeutigkeiten gespielt, die seine Werke bei genauerem Hinsehen bis heute erstaunlich aktuell erscheinen lassen.

Glücklicherweise haben Menschen immer wieder gute Einfälle. Etwa der US-Amerikaner Matt Conn. Er hat sich gefragt, warum am Fernsehen und im Kino Lesben und Schwule mittlerweile ganz alltäglich vorkommen – im anderen grossen Massenmedium, dem Videospiel, hingegen kaum. Kurzerhand gründete er eine Messe für schwule und lesbische Gamedesigner/innen. Wir haben nicht nur ihn eingeladen, sondern gleich auch noch die Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), die Gamedesigner/innen ausbildet. «Belohnt» werden wir dafür mit der Ausstellung «GAYMES» und einer Reihe weiterer Veranstaltungen zum Thema.

Über die Jahre durften wir immer wieder Spiel- oder Dokumentarfilme über historische Ereignisse und Persönlichkeiten zeigen. Dieses Jahr spielt die Vergangenheit eine neue, nicht minder spannende Rolle. Denn Lesben und Schwule tauchen auch auf privatem Filmmaterial auf, sogenannten Homemovies. Im Verborgenen schlummern Super-8-Rollen und VHS-Kassetten mit Szenen aus dem Privatleben von Personen, die längst nicht mehr sind – Zeitzeugen von unschätzbarem Wert. Der Dokfilm «Reel in the Closet» gibt Einblick in eine grösstenteils undokumentierte Vergangenheit, während das Podium «Mein Leben im Archiv» die Diskussion darüber anstossen möchte, was an entsprechendem Material in Schweizer Kellern und auf Dachböden schlummert und wie es bewahrt werden kann.

Last, but not least verleiht Pink Apple zum zweiten Mal seinen Pink Apple Festival Award für Verdienste im schwullesbischen Filmschaffen. Die Auszeichnung geht 2016 an die grosse Filmemacherin Léa Pool. Sie begann in den Siebzigerjahren, Filme zu drehen, machte sich mit «Anne Trister» (1986) und «Emporte-moi» (1999) international einen Namen, realisierte starbesetztes Kino («Lost and Delirious», «The Blue Butterfly») und war erst im vergangenen Jahr mit «La passion d’Augustine» bei uns im Kino.
In ihrer langen Filmografie thematisierte sie immer wieder das Lesbisch- oder Schwulsein, im Zentrum oder am Rande. Und obwohl sie viele ihrer Filme in Kanada drehte, hat sie den Draht zu ihrer Schweizer Heimat stets aufrechterhalten. Wir freuen uns, dass wir Léa Pool als Preisträgerin dieses Jahr bei uns begrüssen dürfen.

Euer Pink-Apple-Team